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Ein Aufsatz von Heiner Franz in den “Saarbrücker Heften”

 

SH98

In ihrem Heft Nr. 98, Winter 2007 veröffentlichten die “Saarbrücker Hefte” einen Aufsatz von Heiner Franz zum Thema des Jazz in diesem Bundesland seit 1961. Die Wiedergabe dieses Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigund der “Saarbrücker Hefte”

 

 

 

JAZZ IM GÄÄRDCHE – Der Jazz im Saarland seit 1961

1. Anfänge

Wie in vielen Städten und Regionen des durch die NS-Katastrophe wirtschaftlich wie kulturell zerstörten Deutschlands entwickelte sich auch hierzulande in den Jahren nach 1945 ein wachsendes Bedürfnis nach einer modernen, zeitgemäßen, und von der Nazizeit unbelasteten Musik- und Unterhaltungskultur. Amerikanische Regierung und CIA hatten schon in den Kriegsjahren die mobilisierenden Kräfte der Jazzmusik erkannt und clever zu Propagandazwecken zu nutzen verstanden. So kam zwangsläufig dem Jazz in dem kulturellen Restituierungsprozess in Deutschland, wie auch in dem damals noch nicht zur BRD gehörenden Saarland, eine besondere Bedeutung zu.

Auf die Nachfrage nach Jazz reagierte auch der hiesige Rundfunk, damals noch „Radio Saarbrücken“, durch Programmangebote, die von entsprechenden Orchesterformationen und Klangkörpern im Live und Studiobetrieb dargeboten wurden. In diesen Orchestern spielten also Musiker, welche die benötigten Klänge zwischen Jazz und jazzbeeinflusster Unterhaltungsmusik herzustellen verstanden, bzw. man heuerte sie nach Bedarf an.1

Bald wurde beim SR auch eine Redaktion eingerichtet, die den wachsenden Programmbedarf an Jazz von Schallplatten, in begrenztem Umfang auch durch eigene Jazzproduktionen, betreute.

Daneben entwickelte sich ab den fünfziger Jahren eine Subkultur unter jazzbegeisterten Studenten, Künstlern, Intellektuellen. Man traf sich in Studentenlokalen, oftmals Kellern, wo man Jazz hören, dazu tanzen konnte, und den Kommunikationsbedürfnissen in einer sich selbstbewusst von der Bourgeoisie und den Alten absetzenden Gruppe Gleichgesinnter nachkommen konnte. In den Kellern entstanden bald Jazzbands, in denen Autodidakten, oft auf erstaunlichem Niveau, den amerikanischen Vorbildern nacheiferten.

 

2. Jazz im Keller

Meine frühesten Erinnerungen an eine solche Szene im Saarland reichen zurück in das Jahr 1961. In Saarbrücken gab es den „Hades“, in Dudweiler das „Aquarium“ und ein Lokal namens „Eimer“. Im Hades residierten die frühen Pioniere des Saarjazz, allen voran zwei Klavierspieler, Siegfried Kessler und Fritz Maldener. Und gelegentlich kamen ein paar schwarze Amerikaner aus Zweibrücken oder Ramstein mit ihren Instrumenten. Diese heißen Jam Sessions, von denen man hinterher in der ganzen Stadt sprach, konnte ich noch nicht selbst erleben. Ich war erst fünfzehn und durfte noch nicht in Lokale gehen.

Im Sommer `62 flog meine erste Band, in der ich der Jüngste war, aus unserem Proberaum in der Saarbrücker Kantstrasse. Mit viel Glück und der Hilfe einiger einflussreicher Saarbrücker Bürger fanden wir schließlich einen Lagerraum in einem Keller in der Bahnhofstrasse, den wir sehr preiswert mieten konnten. Aus Regalen, die der Vormieter hinterlassen hatte und diversen Möbeln vom Sperrmüll entstand eine primitive Einrichtung. Zum Winter 62/63 konnten wir „einziehen“ und wieder Jazz spielen. Bald hatten wir sogar einen Plattenspieler und ein paar LPs. Es gab stets ein paar Kästen Bier „im Haus“ und zunehmend Besuch, der uns zuhörte, applaudierte und unser Bier trank. Die „Gießkanne“ war entstanden.
Wenig später hatte ein neuer Pächter des Hades kein Interesse mehr an Jazz, auch Eimer und Aquarium in Dudweiler wurden geschlossen. Jetzt war die Gießkanne Saarbrückens Jazz- und Studentenlokal Nr. 1. Und ein Treffpunkt für allerlei Individualisten, Studenten, Musiker, Gestalten aus Subkultur und Kunstszene. Betrieben wurde die Gießkanne in dieser frühen Phase von den Musikern der „Kantstreet Jazz Workmen“, deren Banjospieler und Gitarrist ich war. Jedes Bandmitglied hatte einen Schlüssel, so war der Laden für jeden von uns jederzeit zugänglich. Und weil die Gießkanne immer mehr allgemeiner Treffpunkt und Kommunikationszentrum des stetig sich erweiternden Kreises um die Band wurde, war sie auch täglich geöffnet, obwohl es keine Konzession oder Schankerlaubnis gab. Dieser nicht ganz legale, aber paradiesische Zustand absoluter Autonomie dauerte an bis zur Mitte des Jahres 1966. Dann begannen die Bandmitglieder, sich ernsthaft um ihre beruflichen Laufbahnen zu kümmern. Die Band zerfiel, auch ich verließ Saarbrücken und begann mein Theologiestudium in Tübingen. Für eine Interimszeit wurde das Lokal zunächst unter dem Namen „Club Contact“ zu einem deutsch-französischen Jugendclub unter der Regie einer FDP-Jugendorganisation, und etwas später von der Gastronomen-Dynastie der Gebrüder Sandmeyer übernommen und konzessioniert. Zunächst als deren Geschäftsführer, später ab 1976 dann als neuer Inhaber, begann  Karl-Heinz Breuer, genannt „Charly“, die Gießkanne wieder als Jazzclub zu führen. Unter seiner Ägide entwickelte sich der Laden bald zu einem der attraktivsten, bei Musikern in ganz Deutschland sehr beliebten Jazzclubs. Charly Breuer organisierte wöchentliche Konzerte, wo sich die Creme deutscher, aber auch europäischer Jazzbands gerne dem hiesigen Publikum präsentierte. Auch saarländische Jazzformationen unterschiedlichster Couleur konnten hier regelmäßig auftreten.

Ich selber war nach Abschluss meines Studiums seit 1973 wieder zurück in Saarbrücken. Im Tübinger Jazzkeller hatte ich das „Krisch-Quartett“ kennen gelernt, eine nach dem Format des „Modern-Jazz-Quartett“ besetzte Band der Gebrüder Claus, Thomas und „Dizzy“ Krisch, die damals schon in ganz Süddeutschland recht bekannt und erfolgreich war. Es gelang mir, diese neuen Freunde mit meinen musikalischen Weggefährten aus der ersten „Gießkannenzeit“, dem Saxophonisten Ralf Rothkegel und dem Schlagzeuger Hans Mittermüller zu einer neuen Band zu verbinden. Die Band firmierte fortan unter dem Namen „Brainstream“, tourte intensiv bis etwa 1980 durch sämtliche Jazzclubs im Süden und Südwesten Deutschlands, hatte regelmäßige „Heimspiele“ in der Gießkanne und wurde so zu einer Art Vorbild für eine Generation heranwachsender, jazzbegeisterter und talentierter Musiker im Saarland.

In den mehr als dreißig Jahren ihres Bestehens ist die Gießkanne der wichtigste Integrationsfaktor und Katalysator für den Jazz im Saarland gewesen. Sie war Schauplatz unzähliger denkwürdiger, teils hochkarätiger Konzerte. Sie war Kommunikationszentrum für Musiker und musikbegeistertes Publikum. Und immer wieder auch ein Arbeitsraum für Musiker, wo geprobt, geübt und unterrichtet werden konnte. Subkultureller Nährboden, in dem allerlei wuchs und gedieh.
Aber die Gießkanne war natürlich auch – ein Nachtclub.
 

3. Kneipe oder Konzertsaal?
Wer die Geschichte des Jazz betrachtet, kann nicht die Affinität übersehen, die immer zwischen dieser Musik und einem Milieu bestand, das aus europäisch-bildungsbürgerlicher Perspektive als verrufen und suspekt gilt. Von den Bordellen in New Orleans, den Alkoholschwemmen Al Capone’s in Chicago während der Prohibition, zu den Varietétheatern, Tanzschuppen und Bars in Harlem und Manhattan führt eine Linie bis zu den Jazzkellern im Nachkriegdeutschland. Selbst wenn es in letzteren wohl im allgemeinen um einiges harmloser zuging.

Allerdings gab es schon früh auch in Amerika Bestrebungen, Jazz von dem Makel seines angestammten Milieus zu befreien, ihn umzupflanzen in eine Umgebung, die ihn einem gehobeneren (in USA natürlich weißen) Publikum zugänglich machen sollte.2 Hinter solchen Tendenzen steht als Antrieb immer ein Konglomerat kultureller wie geschäftlicher Interessen. Aber man sollte auch nicht übersehen, dass die Verpflanzung in andere Milieus, und damit verbunden die klinische Reinigung, Desinfizierung, letztlich nicht ohne gravierende Folgen für die solchermaßen behandelten Kulturphänomene bleiben kann. Oft genug steht am Ende das allmähliche Absterben, der Tod im Käfig.

Bei der Adaption des Jazz in Deutschland, seiner Integration in den etablierten Kulturbetrieb, setzte sich diese Entwicklung kontinuierlich fort. Auch hier formierte sich bald eine Allianz aus Musikindustrie, Medien, und öffentlichen Institutionen, die bis in die Gegenwart mit zum Teil riesigen Etats ihre meinungsbildenden Events inszeniert. Das sind in erster Linie große Festivals, bei denen das öffentlich-rechtliche Fernsehen ebenso mitfinanziert, wie zum Teil auch Kommunal- und Landeshaushalte. Daneben werden aber auch auf kleinen, regionalen Veranstaltungen und in Clubs Kulissen geschoben und Kasse gemacht.3 Die Kumpanei zwischen Musikgeschäft und Medien wird evident beim Betrachten jedes beliebigen der in Deutschland vertriebenen Jazzmagazine.4 Dort findet man schon nach kurzem Blättern die teuere, ganzseitige Farbannonce der Plattenfirma des Künstlers, dessen Konterfei die Titelseite ziert. Und man weiß sogleich, wie das Jazzbusiness tickt.
 

4. Jazz – oder was?
Ein Umbruch deutete sich weltweit für das florierende Jazzgeschäft in den sechziger und siebziger Jahren an. Einerseits ging damals ein großer Teil des traditionellen Publikums verloren durch das Auftauchen des „Free Jazz“ . Dieser spaltete die Anhänger in zwei Lager, die sich von nun an befehdeten und gegenseitig exkommunizierten. Bei den Free-Jüngern proklamierte man mit der radikalen Absage an Form und Tonalität zugleich auch die gesellschaftspolitische Befreiung des Jazz aus den Niederungen der Unterhaltung. Jazz war für diesen Teil der Gefolgschaft endlich dort angelangt, wo er eigentlich immer schon hingehörte – in die heiligen Hallen der reinen Kunst. Während in den USA Freejazz sich mit der „Black Power“-Bewegung politisch identifizierte, entstand in Deutschland eine Art Religion der Jazz-Avantgarde, in der sich verborgen vulgärer Antiamerikanismus mit verkappt-nationalistischem Revisionismus vermischte und enthusiastisch das Ende des Epigonentums, der historischen Abhängigkeit vom amerikanischen Ursprung verkündete – endlich Deutscher Jazz!
Ein anderer, großer Teil des Publikums, meist jüngere Menschen, wandte sich vom Jazz ganz ab und folgte den Beatles etc. oder den musikalischen Begleiterscheinungen einer weltweit sich formierenden Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg, die brutale amerikanische Rassenpolitik und eine verlogene Bürgerkultur.
Diese Entwicklungen brachten das Jazzgeschäft in große Schwierigkeiten, aus denen man sich, nachdem über dem Freejazz sich die Grasnarbe allmählich schließt5, allenthalben nur befreien zu können glaubt durch eine Öffnung gegenüber jedweder neuen populären Musikrichtung6. Allmählich wurde es im Jazzbusiness gängige Praxis, aktuellen musikalischen Trends hinterher zu laufen, mit denen in anderen Bereichen des Musikgeschäftes Kasse zu machen ist, sie zu „integrieren“, um das Publikum in ausreichender Zahl bei der Stange zu halten. Der ursprüngliche Charakter des Jazz als einer afroamerikanischen Mischkultur dient ab jetzt als Freibrief und Legitimation für allerlei artifizielle Kreuzungsversuche und „In-Vitro-Fertilisationen“7
. Jazz, in seinem ursprünglichen Sinne, wurde zu einem untergeordneten Sonderfall innerhalb des nun propagierten, neuen Phänomens „Weltmusik“. Diese Entwicklung gipfelt gegenwärtig in einer völligen Auflösung des Jazzbegriffs. Die Situation spiegelt sich wieder in den Programmen der meisten „Jazz“- Festivals, auch hierzulande. Anything goes – mühsam versteckt hinter dem Feigenblatt eines aufgeblasenen oder nichtssagenden Mottos.
 

5. Jazzförderung auf saarländisch
Entgegen der allgemein zurückgehenden Popularität des Jazz hatte sich die Szene in der Gießkanne erstaunlich stetig und fruchtbar entwickelt und begann, sich allmählich öffentlicher Resonanz und Anerkennung zu erfreuen. Das erregte in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre das Interesse der Politik, die damals noch glaubte, über allerlei potentielle Wählergruppen nach Belieben das Füllhorn ausschütten zu können. Die Kulturverwaltung der Stadt Saarbrücken signalisierte der Gießkannen-Szene ihre Bereitschaft, den Jazz in Saarbrücken finanziell zu fördern.
Um dies politisch umzusetzen, fiel ihr, die vermutlich wenig konkrete Informationen von der Szene, die sie fördern wollte, oder gar Einblicke in deren eher individualistisch-chaotisches Spontidasein hatte, leider nur der Weg ein, es mit den scheinbar probaten Mitteln der Vereinsförderung anzugehen.
Wie mühsam und langwierig der Weg für die in „Vereinsmeierei“ ganz und gar Unerfahrenen war, und wie dieser Weg in einem furiosen Scheitern endete, wird ersichtlich aus der Chronik des „Förderverein Jazz im Saarland“. Eine zunächst 1977 gegründete „Arbeitsgemeinschaft für Jazz“, deren Hauptaktivität in der Einrichtung eines Girokontos bei der Sparkasse Saarbrücken bestand,  konnte den Ansprüchen der Stadtverwaltung nicht genügen. So kam es erst ein Jahr später zur erneuten Gründung, nun des „Förderverein Jazz im Saarland e.V.“ und zur Verabschiedung einer vereinsrechtlich korrekten Satzung. Doch es waren noch keineswegs alle Schwierigkeiten überwunden. Die für die Steuerbefreiung wichtige Anerkennung der Gemeinnützigkeit zögerte sich hin bis in das Jahr 1985 (!). Zu diesem Zeitpunkt hatte der größere Teil der Gründungsmitglieder, vor allem aber das „künstlerische Personal“, bereits weitgehend das Interesse verloren.
Waren aus Gründen politischer Korrektheit anfangs in den Vorstand des Vereins bewusst  keine Musiker gewählt worden (die potentiell vorrangig Begünstigten der Förderung), so änderte sich dies bald. Mit dem Einzug einzelner Musiker in den Vereinsvorstand, und deren zunehmendem Einfluss auf die Aktivitäten des Fördervereins, geriet bereits zur Mitte der achtziger Jahre der Verein öffentlich in die Kritik. Es begannen sich Konflikte um die gerechte und sachgemäße Verwendung der Mittel, und dadurch Spaltungstendenzen im Lager der Musiker anzubahnen, die sich in den kommenden Jahren noch verschärfen sollten. Als aufgrund leichtfertigen und amateurhaften Umgangs mit den Finanzen 1992 der Verein Schulden deutlich im fünfstelligen DM-Bereich hatte und quasi handlungsunfähig geworden war, kam es zu einem öffentlichen Eklat. Ob der sich anschließende theatralische Auszug des Vereins aus der Gießkanne ein Versuch war, die Schuld am Scheitern dem Gießkannenwirt Charly Breuer zuzuschieben, oder hinter den Kulissen von der Saarbrücker Kulturverwaltung induziert, bleibt offen. Dem Kulturamt war die enge Verbindung zwischen Jazzszene und  Gastronomie jedenfalls immer schon ein Dorn im Auge.

Zu Beginn der neunziger Jahre waren bereits andere Jazzfördervereine entstanden, z.B. in Neunkirchen, St. Wendel und Merzig. Auf Anregung des Kultusministeriums, und abermals aus der Tunnelblick-Perspektive, dass dem Jazz nur über das Mittel der Vereins- bzw. Verbandsförderung zu helfen sei, haben sich diese Gründungen seit 1993 sukzessive in einem „Saarländischen Landesverband Jazz“ zusammengeschlossen, der aus Totomitteln finanziell gefördert wird. Die Erfahrungen mit dem Saarbrücker Desaster führten dort zu Satzungen, bei denen Musiker aus den Entscheidungsprozessen weitgehend ausgeschlossen sind. Obwohl ich selber bei der Gründung des Vereins in Neunkirchen und des Landesverbandes geburtshelferisch beteiligt war und bei der Formulierung der Satzungen bewusst die Beschneidung des Einflusses der Musiker mit betrieben habe, sehe ich das heute als schwerwiegenden Fehler und Irrtum.
Die Kulturschaffenden, die Jazzmusiker sehen sich nämlich dadurch jetzt flächendeckend einer neuen Verwaltungs- und Machtebene gegenüber. Diese wird gebildet von einer Schar von mehr ambitionierten als qualifizierten Ehrenamtlichen, ahnungslosen Laien, weitgehend unbeschwert von Hintergrundkenntnissen. Diese „Jazz-Vereins-Meier“ beziehen ihre Orientierung meist nur aus einschlägigen Medien (s.o.) und dem gelegentlichen Schielen darauf, was oder wie es anderswo lokale Szenen machen. Und sie haben ihre musikalischen Vorlieben und Abneigungen. Und natürlich persönliche Lieblinge in der Szene, zu denen sie mehr Nähe empfinden als zu anderen.8  Den Jazzmusikern bleibt also nur, über die diversen „Stöckchen“ zu springen, die man ihnen hinhält, wollen sie Zugang zu den Ressourcen und Arbeitsmöglichkeiten, die vom Jazzvereins- und Verbandswesen verwaltet werden.

Heute ist mir klar: die Frage, ob in den Führungsgremien der Jazzvereine und –Verbände satzungsgemäß Musiker nun mitwirken oder nicht, ist letztlich wie die Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Der Kardinalfehler liegt im System der Vereins- und Verbandsförderung selber. Dies Konzept ist mit der Sache des Jazz prinzipiell inkompatibel.
Meine persönliche Schlussfolgerung und Hoffnung ist darum, es möge endlich der Blitz dort einschlagen.
Auf eine aktuelle Entwicklung in der Metropole möchte ich noch aufmerksam machen. Im Jahr 2002 hat ein neuer Verein, das „Jazz-Syndikat“ sich des Haushaltstitels für die Jazzförderung (freie Szene) der Stadt Saarbrücken bemächtigt. Die Hauptaktivität dieses Vereins mit dem beziehungsvollen Namen besteht, soweit bisher zu sehen ist, in der Organisation eines mehrwöchigen Festivals, „Jazztransfer“ genannt. Mit beachtlichem organisatorischem Eifer und geballtem Marketing wird der Öffentlichkeit ein „Kessel Buntes“ serviert,  den man ziemlich wahllos aus allen Himmelsrichtungen zusammenkarrt.
Ein kulturpolitischer GAU, nur vergleichbar dem untauglichen Verhalten eines Gärtners, der zur „Düngung“ des Beetes irgendwo mitten hinein einen riesigen Kuhfladen schmeißt. Darunter und daneben wird bestimmt so schnell nichts mehr wachsen.

Dem Jazz im Saarland ging es besser, als noch kein Amt, keine Behörde und kein Verein oder Verband ihn „förderte“. Jazz muss frei und autonom sein.
 

6.” Jazz is not dead....
Dass unter eher ungünstigen Rahmenbedingungen dennoch im Saarland hier und da zarte Jazzpflänzchen gedeihen, ist (wie immer im Leben) vor allem dem kontinuierlichen und nachhaltigen Wirken Einzelner zu verdanken. Die Rede ist nicht von schlagzeilenträchtigen Jazzfestivals.9 Sondern von all den Jazzmusikern, die den Umständen trotzend dennoch beständig ihren Weg gehen. Und die sich immer wieder hier und da Podien und Arbeitsfelder selber erschließen und erfinden.

Kurz seien hier genannt: der Sulzbacher Jazzworkshop, seit vielen Jahren organisiert und geleitet von Jazzpianist Christoph Mudrich. Dort finden enthusiastische Amateurmusikanten Einweisung, Hilfestellung und Anregung beim Erlernen ihres Instruments und der Tugenden, derer es beim jazzmäßigen Musizieren mit anderen bedarf.
Auch der Landesverband Jazz im Saarland unterhält seinen Langzeitworkshop „Jazz Workout“. Erfahrene, einheimische Jazzmusiker betreuen hier über mehrere Monate Anfängercombos, die ihre Arbeitsergebnisse schließlich bei „Jugend jazzt“ präsentieren und sich einem Wettbewerb mit deutschlandweiter Konkurrenz stellen.
Neben einer Konzertreihe für regionale Bands in Saarwellingen wird dort ein weiteres Workshop-Projekt von Conni Rohe betreut. Einmal monatlich sind Jazzliebhaber und Newcomer unter der Anleitung von Claus Krisch zu offenen Jamsessions, der „Jazz-Werkstatt“ eingeladen. Das Projekt erfreut sich großer Beliebtheit und wird ergänzt durch die jährlichen „International Jazzholidays“, ein mit hochkarätigen Dozenten besetzter, einwöchiger Workshop in den Sommerferien, zu dem aus ganz Deutschland und dem Europäischen Ausland Teilnehmer anreisen.
Sicher gibt es noch viele bemerkenswerte Aktivitäten und Helden, die im Verborgenen wirken. Alle, die hier jetzt nicht erwähnt sind, bitte ich um Nachsicht.
 

7. ...it just smells funny”.10
Eine Jazzszene hat in mancherlei Hinsicht Ähnlichkeit mit einem Boulevard-Theaterstück. Wenn es unterhaltsam sein soll, werden komische Rollen benötigt, Figuren, die zur Belustigung des Publikums, wie zum Ärgernis der übrigen Protagonisten, durch die Szene geistern.
Wer, wie ich, ein wenig herumgekommen ist in Jazzclubs, kennt die Freaks und ihre überraschenden Auftritte. Die Fans, die, nachdem sie der Band ein paar Runden bestellt und sich selbst etwas Mut angetrunken haben, im letzten Set plötzlich eine Mundharmonika aus der Hosentasche ziehen. Und schon stehen sie auf der Bühne, meist in der Nähe eines Mikros, und versuchen, mit der Band zu tuten. Oder die Solopianisten und Nervensägen, die in der Pause oder nach dem Gig zu mitternächtlicher Stunde plötzlich am Klavier sitzen und nicht mehr davon weg zu bewegen sind. Sie geben jeder Jazz- oder Clubszene einen Touch von bizarrem Charme.

Da ist der Professor mit dem preußischen Namen und dem Rattenschwanz an akademischen Titeln. Der hat ein profitables Softwareunternehmen, viel Geld und ein Bariton-Saxophon. Auf dem hat er natürlich nicht so viel üben können in der Zeit, als er mit dem Aufhäufeln von Titeln und Geld zu tun hatte. Die Zeit hat er aber jetzt. Und weil er den Jazz so liebt und Geld keine Rolle spielt, hat er erst mal der Musikhochschule einen Jazzprofessor spendiert, so was macht sich immer gut. Und weil er seine MMO-Platten11 schon längst alle auswendig kennt, hat er sich gleich auch noch einen Jazzclub und eine richtige Band geleistet. Die heißt aber nicht „Jamey Aebersold’s Super-Play-Along-Service-Band“, sondern irgendwie anders.

Ein anderer ist beim Rundfunk. Dort gibt es zwar nur noch anderthalb Stunden Jazzsendung pro Woche, aber der Rundfunk wollte die Redakteursstelle, Gott weiß warum, im Stellenplan unbedingt halten. Obwohl man dort Personalstellen einsparen muss. Und weil unser Mann sowieso schon im Haus beschäftigt war, hat er die Stelle  bekommen. Na ja, er war halt dort, wo er vorher war, nicht mehr so wichtig. Und immerhin besitzt auch er ein Saxophon!
Kaum hat er die Stelle, da kriegt er auch noch ein Festival in den Schoß gelegt. Damit lässt sich dann schon was machen. Da hat er, der Herr Jazzredakteur und Festivalchef, mal bei den Lokalmatadoren im Erdgeschoss angeklopft und gefragt, ob sie mit ihm spielen würden. Keiner hat sich natürlich getraut, nein zu sagen. Aber das mit dem Saxophon kam dann irgendwie doch nicht so toll an.
Da kam ihm glücklicherweise noch eine Idee. Man könnte es ja mal mit „heißer Luft“ probieren. Und die irgendwie mit Musik verwursten. Diesmal hat er aber gleich im ersten oder zweiten Stockwerk  bei den größeren Buben geklingelt. Und, ob du’s glaubst oder nicht, die haben ja gesagt und mitgemacht! Deshalb dürfen sie jetzt auch jedes Jahr auf seinem Festival spielen.

Wie gut, dass es in der saarländischen Jazzszene auch manchmal was zu lachen gibt!

Heiner Franz

 

 

 

 

 

1 vgl. dazu auch F. R. Hucks Artikel „Vom Champagnerlied zum Lyonerlied“, Zur Geschichte der Tanz- und Unterhaltungsorchester des Saarländischen Rundfunks 1946 bis 1987, in: Saarbrücker Hefte 96, Winter 2006. Zurück zum Text

 2Zu erinnern ist hier an Paul Whiteman, Chef eines weißen Unterhaltungsorchesters, der  in den zwanziger Jahren viele weiße Jazzmusiker beschäftigte, um die Musikfarbe „Jazz“ in einen symphonisch ausgerichteten Kontext zu integrieren.  Als „Meilenstein“ galt auch Benny Goodman’s Auftritt in der Carnegie Hall, NY 1938, das erste Jazzkonzert in dieser erlesenen Halle, und später George Wein’s Newport Jazzfestival, sowie JATP, „Jazz At The Philharmonic“ des Norman Granz, der mit diesem Konzept bis in die Nachkriegsjahrzehnte auf Festivals in Europa ein Riesengeschäft machen konnte. Zurück zum Text

3Das Prinzip: Der Agent kauft z.B. in USA für ein Pauschalhonorar eine Band oder einen „Star“, der damit für eine bestimmte Zeitspanne bedingungslos zur Verfügung stehen muss. Dies Honorar wird durch Platzierung der/des Künstlers auf wenigen großen Festivals erwirtschaftet. Dazwischen wird der Künstler bei kleineren Veranstaltern „verramscht“ und bringt so ein Zubrot, das in der Regel der Agent stillschweigend in die Tasche steckt. Nebeneffekt: weniger bekannte deutsche Jazzmusiker sehen sich auch auf dem Markt kleiner Clubauftritte mit der Konkurrenz internationaler Stars konfrontiert. Zurück zum Text

 4Diese Blätter, JAZZ PODIUM etc., bestehen überwiegend aus Gefälligkeitsartikeln, für die kein, oder nur schändlich niedriges Zeilenhonorar gezahlt wird, und Annoncen, aus denen das Magazin sich finanziert. Zurück zum Text

5Eine gewisse Verzögerung dieses Prozesses ist in Deutschland zu beobachten durch den Freejazz, der sich in der DDR unter den politischen Bedingungen der Abschottung gegen den Westen entwickelt hatte, und der nun noch eine Weile die lange entbehrten Streicheleinheiten braucht. Zurück zum Text

61969 hielt George Wein es zum ersten Mal für finanziell unumgänglich, Rockmusiker auf dem Newport Festival zu präsentieren: Jethro Tull, Frank Zappa, Led Zeppelin u.a.. Auch Miles Davis, der bis dahin vermutlich bestbezahlte Jazzmusiker, aber aufgrund seines ausufernden Lebensstils hochverschuldet, sah sich unter dem Druck seiner Plattenfirma gezwungen, auf die Welle aufzuspringen, und nahm 1969 „Bitches Brew“ auf, mehr eine Rock- als eine Jazzplatte. Zurück zum Text

7 Ob die so synthetisierten Erzeugnisse in einer sich globalisierenden Welt allerdings dauerhaft sinnstiftend sein können, darf bezweifelt werden. Zurück zum Text

8Wer die Szene kennt, weiß wovon die Rede ist. Leider ist solches auch im Verhältnis zwischen behördlichen Mitarbeitern und einzelnen Jazzmusikern zu beobachten, z.B. das gemeinsame Projekt „Bilder einer Ausstellung“ mit Chr. Thewes’ „Undertone Projekt“ und der Malerei von Thomas Altpeter, mit der Betreuung der „Freien Szene“ befasster Mitarbeiter beim Saarbrücker Kulturamt. Das Projekt wurde aufgeführt 2006 in der „Saarbrücker Sommerszene“ und ist auch auf CD erschienen bei „Jazzhaus Musik“, dem Label von Georg Ruby, Prof. an der HfM, Saarbrücken. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt, oder das alles für „typisch saarländisch“ hält? Zurück zum Text

9Festivals sind im Grunde immer „geballte Ladungen“, mit denen versucht wird, den Panzer allgemeiner Übersättigung, Ignoranz und Gleichgültigkeit zu knacken. Kaum jemand bemerkt die Kollateralschäden, die dabei für das Gedeihen einer nachhaltigen Kultur vor Ort entstehen. Zurück zum Text

10Von Jazzgegnern vielzitiertes bonmot Frank Zappa’s: „Jazz is not dead, it just smells funny“. Zurück zum Text

 11„Music Minus One“-Platten zum Mitspielen für Hobbymusiker, die damit eine komplette Begleitband im Wohnzimmer haben. Im Jazzbereich am bekanntesten sind die „Play-Along“ Produktionen von Jamey Aebersold. Zurück zum Text